Mittwoch, 13. April 2016

The Cage


Fitness.
Schlank sein.
Dem Ideal entsprechen.
Dem Freund gefallen.
Besser sein.
Hübscher werden.
Im Sommer eine Traumfigur zeigen können.

Hungern.
Sich selbst hassen.
Andere immer besser finden.
Disziplin.
Hochgefühl nach dem Hungern.
Kontrolle.
Tägliches Wiegen.
Selbstzweifel.
Qual.

Die Worte und Gefühle, die mir zu diesem Thema einfallen, sind endlos.

Eßstörungen.

Seitdem ich Coach bin, werde ich regelmäßig mit diesem Thema konfrontiert, denn ich bin Ansprechpartner und Bezugsperson. Und es macht mich stolz, dass die Mädels sich trauen zu reden.....dass sie sich mir anvertrauen.
Denn ich weiß, wie schwer es ist, in dieser stillen qualvollen Welt zu leben. Allein.

Ich habe ein sehr gutes Gespür für Menschen. Meine Alarmglocken sind immer auf Hochglanz poliert. Und gerade bei diesem Thema sind meine Sensoren sehr fein gestellt.

Die Rutschpartie von "Diät" zu einer Eßstörung ist schnell gemacht.
Ich habe es bei so vielen Mädels erlebt.
Und die Geschichten, die mir erzählt werden, nehmen kein Ende.
Und jede davon berührt mich zutiefst.

Ich weiß sehr genau, was ihr da durchmacht.

Ich selbst war über Jahre keine "normale Esserin", obwohl ich mir das immer selbst einreden wolte - und meiner Umwelt auch.
Im Bescheißen (sorry, aber so ist das doch!) sind wir absolute Trendsetter! Und wir machen das so perfekt, dass wir uns selbst irgendwann glauben.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wann genau das bei mir anfing.
Ich glaube, gestört war ich schon immer :-)
Aber die Basis für jede Eßstörung ist meiner Meinung nach ein sehr poröses Selbstvertrauen.

Ich hatte davon nicht viel.

Ich fand andere Mächen immer hübscher. Ich fand mich doof. Nichtssagend.
Dazu kam der Druck auf dem Gymnasium.

Ich habe den Schritt von der Realschule auf das Gymnasium gewagt. Potential war mehr als genug da. Aber ich war immer mega schüchtern. Und da die mündliche Beteiligung eine große Rolle spielte, sah man mich eher in der Realschule, als auf dem Gymnasium.

Doch nach der 10 wollte ich es mir selbst beweisen.

Hab ich auch. Und es war gut und richtig.

Aber vor Selbstvertrauen strotzte ich immer noch nicht. Trotz gutem Abi.

Alles, was von Außen kommt, macht Dich nicht nachhaltig stark.
Du musst im Inneren wachsen. 

Aber das war mir lange Zeit nicht klar.

Der Vergleich mit anderen trieb mich in eine sehr kranke Ecke.
Noch krasser wurde es, als ich mit dem Training anfing. Und mit Wettkämpfen.

Du willst gut sein - nein! Du willst besser sein! 
Ich schaute mich um und wollte genau das - und noch mehr - was die Mädels auf der Bühne hatten:
ein strahlendes Lächeln, einen durchtrainierten Körper, Selbstvertrauen, Lob und Anerkennung.....

Eine gute Eigenschaft von mir ist meine Disziplin.
Wenn ich etwas will, dann arbeite ich dafür bis zum Umfallen.

Diese gute Eigenschaft wurde mir damals zum Verhängnis.
Denn ich arbeitete die ganze Zeit gegen mich.

Scheinbar versuchte ich, mich selbst zu bekämpfen.....dieses schwache Mädchen aus meinem Körper zu verbannen. Mit Training und Hungern.

Und bevor ich mich versah, war ich mittendrin in einer gut ausgebildeten Eßstörung (wenn ich was mache, dann immer richtig!).

Tägliches Wiegen (manchmal mehrmals täglich), der kritische, selbstverachtende Blick in den Spiegel, das Gefühl danach, nur noch mehr hungern zu müssen, um sich endlich schön zu fühlen, der Triumph über den Hunger................diese kranken Handlungen und Gedanken hatten mich voll im Griff.

Ich weiß nicht mehr, wie oft ich umgefallen bin (meine arme Mutti hat mich oft genug aufgefangen). Meine Freundin und meine Mama haben mich so oft ins Gebet genommen. Dann habe ich versprochen, dass ich wieder normal essen werde. 

Das hielt ungefähr 1 Tag.

Ich hab das nicht ausgehalten.

Ich habe halbherzig versucht, eine kleine Portion zu essen. 
Danach habe ich mich grausam gefühlt. Ich stand vor dem Spiegel und habe meinen Bauch angesehen. Er war nicht mehr flach! Panik!!! "Ich werde nie wieder was essen!!! Wie sehe ich denn aus, wenn ich normal esse??? Mein Körper ist vielleicht anders und braucht einfach weniger. Ich merke, wie das Fett sich in meinem Körper sammelt, wenn ich was esse!"

Schräge Gedanken.
Ich war gefangen.

Eßstörungen sind widerlich.
Sie kleben an Dir. Sie kontrollieren Dich. Sie machen Dir vor, dass Du unglaublich stark bist, dass Du eine toughe Person bist - weil Du es aushältst und nicht so erbärmlich schwach bist wie die anderen, die sich mit Pommes und Burgern durchfressen.
Eßstörungen bestimmen Dein ganzes Leben.
Und das derer, die Dich lieben.

Ich hab immer gedacht, wenn ich mein Ziel erreiche, dann wird es besser. 
Dann kann ich normal leben.

Aber bei der Eßstörung gibt es kein wirkliches Ziel.
Das Ziel ist "Immer weniger".
Also bleibst Du immer ein Looser, denn weniger geht immer.
Du erreichst NIE ein Ziel.

Auch nicht, wenn Du dann erfolgreich bist.
Wenn Du einen Freund hast, der Dich liebt - und Dir helfen will.
Dann wird dieser Freund zu einer Störquelle, denn er lässt Dir weniger Freiraum für Deine Störung.
Letztendlich ist die Eßstörung Dein Freund, Deine Familie.
Mehr Platz gibt es in Deinem Leben nicht.

Die innere Einsamkeit und die Eßstörung begleiteten mich loyal Tag für Tag.

Und es hilft auch nicht, wenn Dir jemand sagt, wie toll Du aussiehst.....und dass Du bitte ein wenig mehr essen solltest.

Ich habe mein verzerrtes Selbstbild im Spiegel gesehen.......häßlich! Ich habe nicht verstehen können, was die anderen meinten.

Und Du wirst kreativ, wenn es um Ausreden geht, warum Du nicht essen kannst.

Ich glaube, ich war damals in einer meiner kreativsten Phasen überhaupt! 

Ich versteckte das gemachte Frühstück, um es dann sicher zu entsorgen und hatte noch zig Tricks auf Lager, mit denen ich meine Umwelt zum Schweigen brachte. 

Die hatten doch eh keine Ahnung! Ich brauchte keine schlauen Reden.
Ich brauchte nur meine Eßstörung.
Wir beide waren dicke (oder eher dünne)!
Das beste Team ever!

Die Welt verstand mich nicht.
Und solange das so ist und Du nicht merkst, wie weit weg von Deinem eigentlichen Ideal Du bist, so lange wirst Du in diesem selbstzerstörerischen Käfig verweilen.

Ich war so schizophren, dass ich mir Bücher über Magersucht kaufte und las.
Ich glaube, ich wollte auch damit meine Umwelt beruhigen.....frei nach dem Motto: sie versucht es ja.

Vielleicht wollte ich mich auch selbst verstehen.
Es gelang irgendwie nicht wirklich.

So ging das über Jahre.

Es ist erstaunlich, was der menschliche Körper alles so aushalten kann.

Ich machte eine medizinische Ausbildung und lernte vieles über den menschlichen Körper, Ernährung etc.
Ich machte Ausbildungen im Bereich Sportlerernährung.
Ich war sehr klug und intelligent.
Und gleichzeitig so dämlich wie eine Stange Sellerie (Sellerie ist wahrscheinlich noch cleverer!), denn nichts davon konnte ich für mich anwenden.

Diese häßliche Fratze namens Eßstörung lachte mich aus, spuckte mir angewidert ins Gesicht und zeigte mir, wie erbärmlich ich war.

Und ich senkte den Kopf und gab ihrem Druck nach, jetzt doch nicht aufzuhören mit dem Hungern. Ist doch grad so nett.

Das Training habe ich über all die Jahre durchgezogen. Ich bin ein Fighter (Applaus-Applaus). 

Ich habe das durch, was viele Mädels so machen: Cardio bis zum Umfallen. Und wenn ich etwas gegessen hatte - noch mehr Cardio.

Wann kam der Zeitpunkt, an dem sich mein Leben wandelte?

Spät.

Ich glaube, ich hatte irgendwann Fotos von mir gesehen.....im Sommer......im Shirt.
Und ich habe meine Arme gesehen.
Und den dünnen Hals.
Und nix passte mehr zu dem dicken Kopf dazu!

Ich hatte einen Schrecken bekommen, denn so wollte ich nicht aussehen!!!!

Ich nahm mir meine Vorblder aus der Fitness-Branche vor und verglich sie mit meinem Foto.

WTF!!!! 

Sie waren schlank - ich mager.
Sie hatten volle Muskeln - ich hatte nur Sehnen (trotz Training!).
Sie hatten Hüfte - ich hatte Knochen.
Sie hatten Po - ich hatte Wüste!

Ich glaube, dies war der Moment, der meine innere Ausrichtung korrigierte.
Zumindest hatte ich da einen wirklich hellen Moment.
Und den verfolgte ich.

Ich wusste genau, dass ich den kommenden Weg niemals alleine schaffen würde.
Also suchte ich einen Coach.

Ich fand einen weiblichen Coach, der mir einen Trainingsplan und einen Ernährungsplan erstellte.

Und ich hatte gruselige Angst.

Das Training war hart, aber das liebte ich.
Aber ich sollte essen.
Regelmäßig.
Täglich.

Ich lag vorher oftmals bei 1000 Kalorien täglich.
Mein Coach erhöhte sofort auf 1300 Kalorien.
Das ist eigentlich die Menge, die ich zum reinen Überleben brauchte - ohne Training.
Dennoch erschien es mir so viel.

Und ich hatte Angst.

Ich sprach mit ihr darüber.
Sie hielt sich kurz und klar und versprach mir, dass ich meinem Körper endlich das geben würde, was er brauchte, um fit und sexy zu werden - und dass meine Jeans dann viel besser passen würden.

Ich hatte damals intuitiv den richtigen Coach gewählt, denn ich vertraute ihr. Einfach so.
Sie diskutierte nicht mit mir.
Sie sagte an.
Und also sprang ich - rein ins kalte Wasser.

Niemand glaubte mir, dass ich das schaffen würde.

Aber ich tat es.

Und wisst ihr, was das Bekloppte daran war?

Es war noch nicht mal schwer, denn ich legte mein Ich quasi in die Hände des Coaches - und hatte somit der Eßstörung die Kontrolle über mich entzogen.

Natürlich gabe es gruselige Momente, in denen ich alles anzweifelte.
Aber ich sah, dass mein Körper sich positiv veränderte.

Ich war skinny fat - jetzt schmolzen die Fettreserven und eine schöne Muskelschicht zierte meinen Körper.

Ich fühlte mich immer besser. Ich wurde stärker. Ich musste nicht ständig frieren. Und ich liebte mein Frühstück. Und ich genoss es, dass ich die Erlaubnis erhielt, weitere Mahlzeiten zu essen, denn das Wort des Coaches wog mehr als alles andere.

Ich war ausgeglichener und meine Hormone machten keine Achterbahnfahrten mehr.

Das alles brauchte Zeit.
Aber diese innere Kehrtwende ging bei mir sehr schnell.

Man sagt manchmal, dass ein innerer Schalter sich umstellen muss, damit man neu beginnen kann.
So ein Schalter stellt sich ja nun mal auch nicht in Zeitlupe um.
Es geht schnell.
Danach muss der Kopf lediglich die Richtung beibehalten.
Dann läuft´s.

Ich erzähle hier meine kleine Geschichte, damit ihr wisst, warum ich so oft auf Facebook etc. über Magerwahn poste.....oder über Pizza und andere Kohlis......über Schokolade und das gesunde Genießen.
Weil ich weiß, wie es nicht geht!
Und weil ich auch weiß, wie es geht!

Niemand muss mir was darüber erzählen, wie gesund es ist, mit wenig durch die Botanik zu rennen!
Niemand muss mich darüber belehren, dass Kohlenhydrate dort und da ungesund sind und am besten ganz aus dem Plan gestrichen werden sollten!
Niemand muss an mich herantreten und mich mit Broscience zutexten, nur weil man da eine Studie gelesen, dort ein Semester studiert oder nebenbei an einer Studie teilgenommen hat!
Ich bin belesen genug und lerne ständig weiter auf diesem Gebiet, um diese Teilwisser zu erkennen!
UND: ich habe selbst genug erlebt, um mein erlerntes Wissen mit meiner Erfahrung auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Ich verstehe jede Lady, die an sich zweifelt.
Ich haue sofort diplomatisch mit der Keule, wenn sich auf meiner Seite jemand mit abfälligen Kommis und Halbwissen, das gefährlich ist, ausbreitet und damit für Unsicherheit sorgt.
Zweifel sind schnell gesät.

Ich kämpfe um jede Lady.....für jede Lady.

Es macht mich traurig, wenn ich sehe, wie sehr immer noch an dem Glauben gehaftet wird, dass Männer lieber Magermodels lieben, als kernige Frauen, mit denen man auch mal raufen kann.
Hast Du einen solchen Typen neben Dir, ist das in meinen Augen kein Mann, sondern ein kleiner Junge der noch viel lernen muss.
Ich stehe auf Gentlemen, mit denen ich lachend eine Pizza essen kann und die mir nicht sagen, dass meine Oberschenkel zu dick sind, sondern endlich gut trainiert! 

Die Menschen in Deinem Leben sollten Dich stärken, nicht schwächen!
Hast Du jemanden, der Dich permanent kritisiert, dann lade ihn aus.
Davon gibt es an jeder Straßenecke welche.

Hast Du jemanden, der Dich darin unterstützt, ein gesundes und fittes Leben zu führen, dann schätze diese Person. Sie ist unbezahlbar.

Ich habe gelernt, um mich zu kämpfen. 
Heute gehe ich Hand in Hand mit mir spazieren......ok - manchmal kann ich mich auch nicht leiden, aber das ist völlig ok und normal.
Aber das macht sich nicht mehr in meinem Eßverhalten bemerkbar.
Dafür liebe ich das Essen viel zu sehr!
Ich habe die Liebe zum Essen gelernt.
Daher ist es mir so unsagbar wichtig, meinen Ladys ein gesundes Verhältnis zum Thema Ernährung mitzugeben.
Es ist ein Lernprozess, der durch ein gesundes Grundwissen genährt wird.

Deshalb arbeite ich an meinem LMU-Camp.
Um die Freude am Essen zu wecken.
Um Wissen weiterzugeben.
Um Sicherheit zu bieten.
Um Fitness nicht mit Hungern und Verzicht in Verbindung zu bringen, sondern mit einem gut gefüllten Teller und Schweißperlen auf der Stirn.

Um Dir eine Hand zu reichen.

Denn auch Du kannst raus aus dieser qualvollen Welt.

Du bist nicht allein.


.......to be continued.



4 Kommentare:

  1. Vielen Dank, für diesen wunderbaren, authentischen Bericht.

    Lg Manu

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  2. Fühl dich ganz fest gedrückt! :)

    Da du selbst eine Essstörung durchgemacht hast, ist es vermutlich auch viel authentischer (doofes Wort, aber du weißt schon), wenn du selbst andere coacht. Einfach weil du weißt, wovon du redest und das nicht nur in der Ausbildung sondern an dir und mit dir selbst gelernt hast. Ich denke, so etwas spüren Menschen entweder sehr direkt oder intuitiv.

    So viel kann ich gar nicht mehr dazu sagen, nur dass ich deinen Beitrag mit ein wenig Pipi in den Augen und aber auch viel Freude gelesen habe. :') Bitte gerne mehr davon.

    Und ich kann stolz berichten, dass ich hab heute zwei Mal in der Woche über den Hochschulsport bei uns Sport mache. :) Vielleicht ringe ich mich ja irgendwann dazu durch, ein Drittes Mal hinzuzufügen, aber dafür muss ich meinen inneren Schweinehund überwinden. Wenn ich feste Termine habe (wie mittwochs und freitags), dann geht's :D

    Nun gut, viele liebe Grüße und bis demnächst. :)
    Moony

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    1. Danke Moony :-)
      Der Schweinehund ist eigentlich ein kleines Nagetier, das sich etwas aufplustert, wenn man es lässt :-) Einfach mit einer lässigen Handbewegung Deinen Weg frei räumen - der Rest geht dann von ganz allein ;-)

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